- Kriegskommunismus: Russischer Bürgerkrieg
- Kriegskommunismus: Russischer BürgerkriegDie »Atempause« für die russischen Revolutionäre nach dem Friedensschluss von Brest-Litowsk hatte nicht lange gewährt. Seit Mai 1918 entbrannte der Bürgerkrieg in voller Schärfe. Die Kräfte der Gegenrevolution, die »Weißen«, umfassten ein weites politisches Spektrum von Monarchisten bis zu Sozialrevolutionären. Unterstützt wurden sie durch die Intervention Großbritanniens, Frankreichs, Japans, der USA und weiterer Staaten, die Truppen entsandten und umfangreiche materielle Hilfe leisteten. Die Kämpfe zogen sich bis 1920 hin, als der Krieg mit Polen die Lage zusätzlich verschärfte. Im Fernen Osten dauerten sie sogar bis 1922. Hohe Menschenverluste waren zu beklagen, große Teile des Landes wurden verwüstet. Mehrfach geriet die Sowjetmacht an den Rand einer Niederlage. Dennoch gelang es ihr schließlich, sich zu behaupten.Für die Rote Armee, an deren Spitze Trotzki stand, stellten sich nicht nur zahlreiche Nichtkommunisten zur Verfügung, sondern es konnten auch Bauern mobilisiert werden. Sie befürchteten von einem Sieg der »Weißen« eine Rückkehr zu vorrevolutionären Zuständen. Darüber hinaus mangelte es den »Weißen« und Alliierten an innerer Geschlossenheit und überzeugenden politischen Zielen. Die »kapitalistische Einkreisung« Sowjetrusslands war ein traumatisches Erlebnis für die Bolschewiki. Der Wunsch, sie aufzubrechen, war von nun an Grundbestandteil sowjetischer Außenpolitik.Innenpolitisch wirkte sich der Bürgerkrieg verheerend aus. Nach den Einschränkungen einiger Freiheitsrechte entfaltete sich nun ein »weißer« und ein »roter« Massenterror, die sich in nichts nachstanden. Die Macht der sowjetischen Geheimpolizei wuchs beträchtlich. Mit dem Vorwurf, sie hätten sich mit der Gegenrevolution verbündet, verbot die Sowjetregierung zahlreiche Parteien. Ende 1918 wurden immerhin die Menschewiki, Anfang 1919 ein Teil der Sozialrevolutionäre wieder zugelassen, in ihrer Arbeit allerdings nach wie vor behindert. Insgesamt förderte der Bürgerkrieg eine Zentralisierung und Bürokratisierung des politischen wie wirtschaftlichen Lebens. Außerordentliche Organe regierten das Land, und die Sowjets verloren an Einfluss. 1920 kam es noch einmal zu einer Wiederbelebung dieser Organisationsform, ohne dass sie indes parteiunabhängig oder -übergreifend hätte wirken können.Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde das Programm eines unmittelbaren Aufbaus des Sozialismus, das sich im Frühjahr 1918 hatte durchsetzen können und im Wesentlichen von den »linken Kommunisten« entworfen worden war. In einem stufenweisen Vorgehen sollten über eine planmäßige Vergesellschaftung und Lenkung der Wirtschaft, bei Orientierung an den Bedürfnissen der Bevölkerung und unter deren Mitwirkung, allmählich kommunistische Verhältnisse entstehen: eine freie Bedürfnisbefriedigung bei vollständiger Selbstverwaltung. Wenngleich einige Maßnahmen diesen Zielen durchaus entsprachen, war während der Kriegsbedingungen nicht daran zu denken, das Konzept wie vorgesehen zu verwirklichen.Stattdessen herrschten behördliche Anordnungen und Zwang vor. Namentlich auf dem Land artete die gewaltsame Eintreibung von Nahrungsmitteln oft in blutige Kämpfe aus. In nachhinein wurde deshalb die Bezeichnung »Kriegskommunismus« für diese Periode geprägt. Die wirtschaftliche Leistung fiel auf einen bisher nicht gekannten Tiefstand, die Bevölkerung vor allem der großen Städte lebte in unvorstellbarem Elend. Als sich 1920 der Bürgerkrieg seinem Ende entgegenneigte, keimte noch einmal Hoffnung auf, man könne zu den früheren Ansätzen zurückkehren. So wurde Ende des Jahres der erste Gesamtwirtschaftsplan verabschiedet, mit dem auf der Grundlage einer umfassenden Elektrifizierung in 10 bis 15 Jahren die Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen werden sollten: ein leuchtendes Zukunftsprogramm vor dem Hintergrund größter Not. Wenige Monate später jedoch waren alle Hoffnungen verflogen.
Universal-Lexikon. 2012.